Sport unter Strom: EMS

25.06.2020

Die elektrische Muskelstimulation (EMS) verspricht maximale Erfolge mit minimalem Aufwand, und dies wissenschaftlich belegt. Muskelzuwachs und Fettverbrennung bei nur einmal wöchentlichem Training von 15 Minuten - das propagiert zumindest einer der Anbieter auf seiner Website. Evidenz oder leere Versprechungen, was steckt wirklich dahinter?

© Pixabay/5132824
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Einleitung & Definition

Bei der elektrischen Muskelstimulation wird die Muskelanspannung durch einen elektrischen Reiz ausgelöst, der mittels Oberflächenelektroden appliziert wird. Dies kann isoliert erfolgen oder in Kombination mit einer Willküranspannung des Muskels - das bedeutet, der/die Trainierende führt während der elektrischen Stimulation zusätzlich aktiv eine Übung aus.

Ein Anbieter für EMS nennt auf seiner Website https://www.mandu.at/Das-Prinzip/Die-Methode/EMS-Training folgende Wirkungen des EMS-Muskeltrainings:

  • Kräftigt gelenkschonend die gesamte Muskulatur
  • Ideal zur Fett- & Gewichtsreduktion
  • Stoffwechselaktivierend & durchblutungsfördernd
  • Reduziert Cellulite & "Reiterhosen"
  • Stärkt Rücken & schützt Wirbelsäule
  • Deutliche Leistungssteigerung im Sport
  • Stärkt Beckenboden & kräftigt speziell die Tiefenmuskulatur
  • Hält vital & fit im Alter
  • Löst Verspannungen & muskuläre Dysbalancen
  • Wirkt positiv bei Stress & steigert das Wohlbefinden

Als wissenschaftlicher Beleg für die Wirksamkeit wird eine Studie von Vatter et al. (2003) zitiert, welche 2010 vom AVM Verlag als Taschenbuch publiziert wurde. Bei meinen Recherchen im Internet wird diese Studie von sehr vielen EMS-Anbietern als Referenz genannt.

Studienlage

Die gesamte Studie zuvor genannte Studie ist mir leider nicht zugänglich. Der Zusammenfassung auf https://www.kraftquelle.koeln/universitaet-bayreuth entnehme ich, dass im Rahmen der Untersuchung 134 Probanden EMS in Kombination mit aktiven Übungspositionen anwendeten und diese mit einer Kontrollgruppe von 10 Personen verglichen wurden. Hier fällt bereits der eklatante Unterschied in der Stichprobengröße auf. Ob diese 10 Personen ein konventionelles Trainingsprogramm absolvierten oder gar kein Trainingsprogramm, geht nicht hervor. Da laut den Ergebnissen bei der Kontrollgruppe keine Veränderungen festgestellt wurden, ist meiner Ansicht nach davon auszugehen, dass diese kein Trainingsprogramm absolviert haben.

Bax et al. (2005) untersuchten in ihrem systematischen Review die Wirksamkeit von EMS zur Kraftsteigerung der vorderen Oberschenkelmuskulatur (M. quadriceps femoris). Es wurden insgesamt 35 Studien eingeschlossen, wobei hier bereits auf die niedrige oder moderate methodische Qualität der Studien hingewiesen sei. Es zeigte sich nach EMS im Vergleich zu keiner Intervention eine signifikant höhere Muskelkraft, egal ob isolierte Anwendung oder in Kombination mit Willküranspannung der Muskulatur. Jedoch fanden sich im Vergleich zu konventionellem Krafttraining für die EMS geringere Kraftwerte. Die Autoren schlussfolgerten somit, dass EMS zwar besser sei als kein Training, jedoch zur Kraftsteigerung weniger effektiv als konventionelles Krafttraining.

Ein weiteres systematisches Review von Malone et al. (2014) beleuchtete die Wirksamkeit von EMS zur Regeneration. Es wurden 13 randomisierte Studien eingeschlossen, die Parameter wie Blutlaktatkonzentration, Leistungsfähigkeit, Schmerzen und Belastungsempfinden untersuchten. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl pro Studie lag bei 14 Personen. Im Vergleich zu passiver Regeneration (z.B. Liegen, Sitzen) wirkte sich die EMS positiv auf die Blutlaktatkonzentration aus, ebenso auf die Verbesserung des Schmerz- und Anstrengungsempfindens. Keine Vorteile ergaben sich in Bezug auf die Leistungsfähigkeit. Im Vergleich zu aktiven Regenerationsmaßnahmen (Wassergymnastik, niedrigintensives Laufen/Radfahren) fand sich nur im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit eine schwache Evidenz für die Wirksamkeit der EMS. Die Autoren schlussfolgerten somit, dass EMS möglicherweise einen positiven Einfluss auf die subjektiv beurteilte Regeneration hat, sahen jedoch keinen überzeugenden Beweis für die Verbesserung der Leistungsfähigkeit.

Martimbianco et al. (2017) untersuchten in ihrem systematischen Review die Wirkung von EMS beim vorderen Knieschmerz (femoropatellares Schmerzsyndrom). Eingeschlossen wurden 8 randomisierte Studien. Alle Studien waren klein und von niedriger methodischer Qualität, ebenso gab es kaum brauchbare Daten zu längerfristigen Ergebnissen. Die Autoren kamen anhand der vorliegenden Daten zu dem Schluss, dass die Beweise für die Wirksamkeit der EMS bei vorderem Knieschmerz unzureichend seien.

Ergebnis

Auffallend bei meinen Recherchen ist die durchwegs niedrige Qualität der vorliegenden Studien zum EMS-Training. Somit ist auch die Beurteilung der Wirksamkeit nur eingeschränkt möglich. In keiner der gefundenen Studien und Metaanalysen wurde eine Untersuchung hinsichtlich des Placeboeffekts durchgeführt, dieser ist somit nach wie vor eine ungewisse Komponente.

Bezüglich der Kraftsteigerung war das EMS-Training im Vergleich zu keinem Training zwar vorteilhaft, jedoch verglichen mit konventionellem Krafttraining unterlegen. Ähnliche Tendenzen zeigten sich im Hinblick auf die Regeneration, beim Vergleich der EMS zu passiver und aktiver Regeneration. Die Wirksamkeit der EMS beim vorderen Knieschmerz konnte ebenso nicht ausreichend belegt werden und auch bei Patienten mit Kniearthrose (Giggins et al. 2012) und nach Kreuzbandrekonstruktion (Kim et al. 2010) schien die EMS nicht wirksamer zu sein als andere gängige Trainings- und Therapieverfahren.

Am Rande sei noch ein Wort zu den großartigen Trainingseffekten bei einem 15-minütigen Workout 1x pro Woche gesagt. Wie eingangs erwähnt, hat eben dieser Anbieter die Untersuchung von Vatter et al. als Beweis für die Wirksamkeit von EMS zitiert, jedoch haben die Probanden selbst bei dieser Studie 2x wöchentlich zu je 45 Minuten trainiert.

Somit ist vor allem die Vermarktung der wissenschaftlichen Belegbarkeit des EMS-Trainings meiner Ansicht nach als kritisch zu betrachten, da es sich hier bei genauerem Hinsehen mehr um marketingwirskame Halbwahrheiten handelt, als um wirklich fundierte wissenschaftliche Beweise.


Quellen:

https://www.mandu.at/Das-Prinzip/Die-Methode/EMS-Training, letzter Zugriff am 24.6.2020

https://www.kraftquelle.koeln/universitaet-bayreuth, letzter Zugriff am 24.6.2020

Banzer W. Körperliche Aktivität und Gesundheit, Springer Verlag Berlin Heidelberg 2017 

Bax L, Staes F, Verhagen A. Does neuromuscular electrical stimulation strengthen the quadriceps femoris? A systematic review of randomised controlled trials. Sports Med. 2005;35(3):191-212.

Giggins O, Fullen B, Coughlan G. Neuromuscular electrical stimulation in the treatment of knee osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis. Clin Rehabil. 2012;26(10):867-881.

Kim KM, Croy T, Hertel J, Saliba S. Effects of neuromuscular electrical stimulation after anterior cruciate ligament reconstruction on quadriceps strength, function, and patient-oriented outcomes: a systematic review. J Orthop Sports Phys Ther. 2010;40(7):383-391.

Malone JK, Blake C, Caulfield BM. Neuromuscular electrical stimulation during recovery from exercise: a systematic review. J Strength Cond Res. 2014;28(9):2478-2506. 

Martimbianco ALC, Torloni MR, Andriolo BNG, Porfírio GJM, Riera R. Neuromuscular electrical stimulation (NMES) for patellofemoral pain syndrome. Cochrane Database of Systematic Reviews 2017, Issue 12. Art. No.: CD011289.